Die Welt wird immer theoretischer. Unzählige Themen werden aufgegriffen und vorgetragen. Ganze Regale voller Bücher mit Theorien sind im letzten Zeitraum entstanden. Alles wird infrage gestellt oder neu erfunden. Insbesondere die Gilde der Verschwörungstheoretiker wächst. Mehr und mehr Behauptungen werden in den Raum gestellt, mit diversen Fakten und selbst gestalteten Bildern untermalt, aber Fakten sind nichts weiter als Indizien. Beweise fehlen. In der Wissenschaft bleibt eine Theorie solange Theorie, bis diese anhand von erbrachten Beweisen bestätigt oder widerlegt ist.
Als Verschwörungstheorien bezeichnet man Mutmaßungen oder Gewissheiten über Zusammenhänge und Hintergründe, die von der offiziellen oder offiziösen Version der Ereignisse oder vom mehrheitlich in den Medien dargestellten Ablauf abweichen. Ihre Verfechter glauben, ganz Großem auf der Spur zu sein.
Solche Theorien zirkulierten beispielsweise nach der Mondlandung oder dem japanischen Angriff auf den amerikanischen Marinestützpunkt Pearl Harbor: Die USA hätten diesen bewusst provoziert; und sie hätten ihre eigenen Streitkräfte absichtlich nicht alarmiert, obwohl sie über den Angriff frühzeitig im Bild gewesen seien – und dies nur, um den anschließend erfolgenden Kriegseintritt vor dem eigenen Volk zu rechtfertigen.
Oder die Ermordung Präsident Kennedys: in den Verlautbarungen von Regierungsstellen
und in den umfangreichen Untersuchungsberichten gab es so viele Unstimmigkeiten und Unklarheiten, dass der Anschein entstand, jemand wolle wichtige Informationen zurückhalten. Bis heute kursieren deshalb verschiedene Versionen einer Verschwörung; Verstrickungen der Mafia oder rechtsextremer Organisationen wurden und werden ebenso
vermutet, wie ein Geheimplan Fidel Castros. Dass der Täter, Lee Harvey Oswald, allein gehandelt haben könnte, allenfalls inspiriert von einer Stimmung des Hasses, die damals in der Lokalpresse von Dallas und in den politisch ganz rechts stehenden Kreisen der USA
gegen Kennedy geschürt wurde, erscheint vielen nahezu als unwahrscheinlich.
Und als Internet-Surfer sind wir heute, nach dem Angriff auf die Zwillingstürme des World Trade Centers, immer noch und immer wieder mit angeblichen oder tatsächlichen Unstimmigkeiten in der offiziellen Version konfrontiert, und natürlich mit dem Verdacht, dass die USA selber – oder eine Verschwörung höchster Regierungs- und Geheimdienstkreise in den USA, allenfalls unter israelischer Mitwirkung – diesen Angriff zugelassen, möglicherweise provoziert oder inspiriert hätten, um einen Krieg gegen den Islam oder zur Sicherung der Ölquellen zu rechtfertigen.
Diese drei Ereignisse traumatisierten alle, die Bevölkerung der USA und anderer Länder, und sie hatten weitreichende politische Folgen. Die offiziellen Versionen waren für die interessierte Öffentlichkeit unbefriedigend, weil sie nicht alle Fragen beantworteten. Und weil sie – sollten sie zutreffen – den Schluss nahe legen, dass höchste militärische oder geheimdienstliche Stellen in geradezu unglaublicher und unverzeihlicher Weise versagt hatten.
Seltsamerweise trauen viele Kritiker den USA zwar jede vorstellbare Schufterei zu – aber kaum simples Versagen, gewöhnliche Torheit, banale politische Überheblichkeit oder ordinären Zynismus. Vielleicht haben die konventionellen Verschwörungstheorien deshalb eine große Anhängerschaft. Sie lenken allerdings von der wahrscheinlichsten Variante ab.
Denn der finstere Geheimplan zur Verfolgung wirtschaftlicher oder geostrategischer Ziele ist spektakulärer. Im Falle der Bush Regierung gab es aber unzählige Indizien, die auf eine politische Dominanz der aggressiven Dummköpfe hindeuten. Die neo-konservative Revolution, die mit der Wahl von Bush junior glaubte, am Ziel zu sein, hatte selbstverständlich ein Programm, eine teilweise verdeckte Agenda. Aber wie wir inzwischen
gesehen haben, war der Plan mehr ein Wahn.
In Anbetracht ihrer Arroganz und Ignoranz könnte man diesen politischen Kräften auch zutrauen, den Terrorangriff vom 11. September 2001 bewusst provoziert, inspiriert, ermöglicht oder zugelassen zu haben. Für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert haben sie ihn ja anschließend.
Aber an diesem Punkt müssen wir als Individuen, die einen ein die einen eingeschränkten Zugang zu Primärquellen haben, entscheiden, was wir als glaubwürdig und wahrscheinlich ansehen. Es gibt beispielsweise Indizien, die nahe legen, dass die Bilder der Mondlandungen gefälscht sind. Und es gibt deshalb eine beträchtliche Zahl von Erdenbürgern, die glauben, dass die Mondlandungen nie stattgefunden haben. Aber wenn wir beweisen wollten, dass die Astronauten tatsächlich auf dem Mond waren, müssten wir wohl selber hinfliegen. Und danach würde man uns wohl nicht glauben, dass wir da waren.
Jeder Beweis könnte manipuliert sein, jedes Bild gefälscht. Mit Verschwörungstheorien müssen wir deshalb leben. Glauben müssen wir sie nicht. Skepsis ist angebracht – nicht nur gegenüber den Behauptungen von Regierungen. Verschwörungstheorien bieten Erklärungen an für Dinge, die sich schwer erklären lassen. Aber sie vernebeln den Blick auf die Wirklichkeit.
Es sind labyrinthische Gedankengebäude, aus denen man nur noch schwer herausfindet. Politische Extremismen beruhen auf ihnen. Anhänger der Verschwörungstheorie verabschieden sich aus dem Gespräch. Sie bringen zwar Argumente vor, sind aber kaum noch zu erreichen für Gegenargumente, sehen in diesen nur noch Versuche zur Manipulation.